Pizza, Koks und „Fuck Me Pumps“
Er kann flehen, dass es einen Stein erweicht – dabei macht er seine Freundinnen auf kürzestem Weg von der Göttin zum Fußabstreifer. Elvira (Camila Titinger) zum Beispiel schenkt er höhnisch eine Schüssel Wasser ein und stellt sie auf den Boden. Keinen Hund würde er so behandeln, eine Geliebte auf mintgrünen „Fuck Me Pumps“ aber schon. Barbara Wysocka stellt den legendären Verführer Don Giovanni als fiebrigen Egoshooter ohne den blassesten Schimmer von Erotik dar.

Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Sie versetzt die Handlung ins Jahr 1972. In den Fernsehnachrichten dominiert das Geiseldrama bei den Olympischen Spielen in München. Unbeeindruckt sitzt Bobby Fischer beim Schach, ganz auf den eigenen Glanz bedacht tänzelt Udo Lindenberg durch eine Bar. Dazwischen wird heftig demonstriert. Die „sexuelle Revolution“ frisst ihre Kinder. Eins davon ist Zerlina (Hagar Sharvit). Sie ist so bezaubernd – und so verführbar zu jedem Quatsch! Den lahmen Masetto (Jung Rae Kim) tröstet sie brav. Dass sie auf ihn steht, scheint eher unwahrscheinlich.
Eine Art Glanz
Ein „modernes Fest“ will Don Giovanni bei Mozart/da Ponte ausrichten. In der Studenten-WG von Barbara Wysocka beschränkt sich das Feiern allerdings auf reichlichen Bier-Konsum. Das Essen kommt aus der Pizzaschachtel, und Leporello – Giovannis „best buddy“ – gabelt die Spaghetti aus der Pfanne. In der Spüle stapelt sich das Schmutzgeschirr. Die Neonröhren blinken, der Boden ist mit Kippen übersät, die Sixpacks gehen zur Neige. Mit flackerndem Blick steht Don Giovanni (Wolfgang Schwaiger) auf dem Tisch. Er hat ein paar Briefchen Koks mitgebracht: „Fin ch’han dall vino caldo la testa“ heißt es noch bodenständig im Libretto. Aber die Party, so viel ist klar, entgleist.
Wysocka setzt auf Commedia dell’arte - und wohlerprobte Gags. Manche davon haben einen Bart, der bis in den Keller reicht – etwa wenn Zerlina sich hinter einer verkümmerten Topfpflanze versteckt. Als aber die Party vorbei ist und das Gefuchtel mit den Pistolen nichts mehr nützt, bleibt sie ratlos.
Und dann kommt Mozart
Das ist die Sternstunde von Oksana Sekerina (Donna Anna), die – von der Regie völlig vernachlässigt – auf eigene Faust ihren Mozart auslotet und auf betörende Weise eine menschliche Dimension entdeckt, die in all dem munteren Treiben nicht sichtbar werden konnte.

Bregenzer Festspiele/Karl Forster
„Don Giovanni“ wird so zu einem wundervollen Opernabend. Da gibt es diese leuchtende Stimme, diese unglaubliche Musikalität von Oksana Sekerina. Da gibt es einen Wolfgang Schwaiger (Don Giovanni), der nicht nur über eine ebenso kraftvolle wie kultivierte Stimme verfügt, sondern auch über ein glänzendes Schauspieltalent. Da gibt es diesen umwerfend komischen, in jeder Sekunde präsenten David Ostrek (Leporello). Da gibt es die leuchtende Camila Titinger (Donna Elvira) und eine Zerlina (Hagar Sharvit), die leider in den Höhen ziemlich scharf wird.
Nicht unbedingt prädestiniert als Komtur ist Dominic Barberi. Jung Rae Kim ist als Masetto ebenso statisch wie Dashuai Chen als Ottavio – beider schauspielerische Bildung verlangt noch nach Schliff. Aber das ist ja der Zweck eines Opernstudios: zu erleben, was neu sein kann und wie viel Risiko in der Suche steckt. Vor allem aber: wie viele Freude am Entdecken für uns Zuhörer!
Ingrid Bertel, ORF Vorarlberg