„Staatsoperette“: Heimeligkeit zum Gruseln und Grausen
Im Mittelpunkt standen die Protagonisten der österreichischen Zwischenkriegszeit wie Ignaz Seipel, Walter Pfrimer, Anton Rintelen, Otto Bauer, Engelbert Dollfuß, Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg und Kurt Schuschnigg. Dass etwa Dollfuß als singende Aufziehfigur und Seipel als schleimiger Kriecher vor dem Duce auftraten, führte auch im Parlament zu einer Debatte über die Freiheit der Kunst; Fünf Jahre später, am 12. Mai 1982, wurde sie in die österreichische Verfassung aufgenommen.
Bühnenfassung von Beginn an vorgesehen
Komponist Otto M. Zykan schwebte von Beginn an auch eine Bühnenfassung vor. Im Jahr 2000 wurde eine Konzertfassung in Niederösterreich aufgeführt. 2006 verstarb Zykan, seiner Lebensgefährtin Irene Suchy und dem Komponisten Michael Mautner ist es zu verdanken, dass eine Bühnenfassung realisiert wurde. Die beiden vervollständigten das Werk, indem sie fehlende Musikbrücken und Textpassagen aus dem Nachlass Zykans und dem Vorlass Novotnys rekonstruierten. Die Handlung reicht nun von 1919 bis zum Anschluss Österreichs 1938.

APA/BREGENZER FESTSPIELE/ANJA KÖHLER
Die Uraufführung von „Staatsoperette - Die Austrotragödie“ mit einem Kommentator, acht SängerInnen, dem Wiener Kammerchor und dem amadeus ensemble-wien unter der musikalischen Leitung von Walter Kobéra fand bei den Bregenzer Festspielen als Koproduktion mit der Neuen Oper Wien auf der Werkstattbühne des Bregenzer Festspielhauses statt.
Das Schöne und das Hässliche
Ausstatter Nikolaus Webern siedelt die Bühnenfassung in einem heruntergekommenen Prunksaal an, bei dem alles Kopf steht. Mit Ausnahme des bekannten „Hofer-Sagers“ („Ihr werdet auch alle noch wundern,...“), den Regisseur Simon Meusburger dem einstigen Heimwehrführer Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg in den Mund legt, verzichtet der aus Vorarlberg stammende Direktor des Wiener Schubert Theaters auf direkte Verweise aktueller politischer Ereignisse.
Souverän agiert das amadeus ensemble-wien unter der musikalischen Leitung von Walter Kobéra. Otto M. Zykan hatte in seiner Komposition zahlreiche Zitate - von Wagner bis Beethoven, sowie Elemente der operettenhaften Populärmusik eingebracht. Wenn nun etwa Engelbert Dollfuß als künftiger Kanzler ein Heurigenlied mit schrecklichem Text singt, erzeugt dies eine Heimeligkeit, die zum Gruseln und zum Grausen ist. Das Schöne und das Hässliche: Sie sind in diesem Werk untrennbar miteinander verwoben und verstärken sich dadurch gegenseitig.
Die Strippenzieher dahinter
Der junge österreichische Regisseur, Kabarettist, Puppenspieler und Kunstpfeifer Nikolaus Habjan hat die historischen Führerfiguren auch als Klappmaulpuppen gefertigt und die Sänger bei der Handhabung der Figuren gecoacht. Sie kommen immer dann ins Spiel, wenn der jeweilige Repräsentant in seine staatstragende Rolle zu schlüpfen hat. Die Führer für einmal führen zu lassen und denjenigen sichtbar zu machen, der die Fäden zieht, stellt sich als kongenialen Kniff heraus.

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Folgerichtig und klug war auch die Entscheidung von Irene Suchy und Michael Mautner, „das Volk“, also den „kleinen Mann“ in Gestalt von zwei kommentierenden Frauen (Laura Schneiderhan und Barbara Pöltl) aus dem linken und rechten Lager hereinzuholen. Allerdings wird die Handlung dadurch teilweise etwas schwerfällig und schulmeisterlich.
Nachhilfestunde in Sachen Austrofaschismus
Die Sänger, die großteils Mehrfachrollen und neben dem eigenen Spiel auch jenes mit den Puppen zu bewältigen haben, bieten eine überzeugende Leistung. Das Publikum dankte mit viel Applaus für einen Abend, der eine kleine Nachhilfestunde in Sachen Austrofaschismus bot, weil man Geschichte wiederholen muss, wenn nicht daraus gelernt wird.
Annette Raschner, ORF Vorarlberg