Szene aus "Die Passagierin"

Bregenzer Festspiele/Stephanie Berger

Wie die Festspiele die Ernsthaftigkeit lernten

Die Bregenzer Festspiele feiern heuer ihr 70-jähriges Bestehen. Jahrzehntelang stand das Spektakel am Bodensee für leichte Unterhaltung und beschwingte Melodien. Erst Mitte der 1980er Jahre schaffte es Intendant Alfred Wopmann, den Bezug zur Gegenwart herzustellen und ein Musikfestival von internationaler Bedeutung zu schaffen.

Das Programm der ersten Bregenzer Festwoche 1946 gab die Richtung vor. Von der Kunst als „Trösterin“ in schweren Stunden war da die Rede - und davon, dass Österreich am Bodensee wieder seine angestammte Rolle wiederfinden sollte: „Hüter alter Kultur und Quell junger künstlerischer Kraft, der seinen Ursprung in der Ehrfurcht vor dem Bewährten hat.“ Nicht kritisch-sondierende Kunst sollte geboten werden, sondern leichte Unterhaltung - unter Rückbesinnung auf klassisches österreichisches Kulturgut.

Das Spiel auf dem See als Herzstück

Wohl kein Zweiter verkörperte diese Linie so wie Ernst Bär. Der ehemalige Kulturjournalist der „Vorarlberger Nachrichten“ übernahm 1952 die künstlerische Leitung der jungen Bregenzer Festspiele. In dieser Funktion setzte er von Anfang an auf Stücke, die die Gäste aus dem tristen Alltag der Nachkriegsjahre holen, zerstreuen und ablenken sollten. Die klassische Wiener Operette war sein Mittel der Wahl.

BF 2016 Ernst Bär

Bregenzer Festspiele

Ernst Bär setzte vor allem auf leichte Unterhaltung

Bis 1970 gehörte die Bregenzer Seebühne dann auch den Melodien etwa von Johann Strauß, Karl Millöcker und Franz von Suppe. Zwar ließ Bär schon ab 1955 im Kornmarkttheater und dem Hohenemser Schloss seltene Opern aufführen. Als Herzstück der Festspiele, daran ließ Bär keinen Zweifel, erachtete er aber stets das Spiel auf dem See - und das gehörte der Operette. Zwei gescheiterte Versuche in den Jahren 1957 und 1958, eine Oper auf der Seebühne aufzuführen, dürften ihn in seiner Meinung bestärkt haben.

Starprinzip und „Operettenseligkeit“

Auf der Theaterbühne dominierten indes österreichische Klassiker in Inszenierungen des Wiener Burgtheaters: Von Franz Grillparzer über Johann Nestroy bis hin zu Ferdinand Raimund fehlte keiner der großen österreichischen Autoren. Um möglichst viele Gäste anzulocken, setzte Bär auf etablierte Stars der Musik- und Theaterwelt: Berühmte Schauspieler wie Paula Wessely, Attila Hörbiger und Oskar Werner gaben sich in Bregenz die Ehre – ebenso wie namhafte Dirigenten und Opernsänger.

BF 2016 Der Bettelstudent 1956

Sammlung Risch-Lau, Vorarlberger Landesbibliothek

Operetten wie Carl Millöckers „Der Bettelstudent“ - hier die Aufführung von 1956 - dominierten bis in die 1970er Jahre das Spiel auf dem See

Klagen über das mangelnde künstlerische Niveau der Festspiele begleiteten Bär von Beginn an. 1954 forderte der Bregenzer Stadtrat Max Haller beispielsweise „ein Abrücken von der abgespielten Operette und einen Übergang zur komischen und romantischen Oper“. 1968 wetterte Arnulf Benzer, einer der frühesten Unterstützer der Festspiele, die Jugend wünsche keine „Operettenseligkeit“ mehr. Solange das Publikum seine Programmwahl goutierte, hatte Bär aber gute Gründe, an der Operette festzuhalten.

Gesellschaftlicher Wandel und das Ende einer Ära

Ende der 1960er Jahre gerieten die Bregenzer Festspiele zunehmend außer Tritt mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Eine junge Generation fühlte sich von der heilen Welt der Operette nicht mehr angesprochen und verlangte nach einem anspruchsvolleren, zeitgenössischen Programm. 1972 gründeten Vorarlberger Kulturschaffende die Randspiele, ein Alternativprogramm, das Pop- und Jazzkonzerte ebenso umfasste wie Theateraufführungen und künstlerische Aktionen.

BF 2016 Porgy and Bess 1971

Sammlung Risch-Lau, Vorarlberger Landesbibliothek

Joyce Bryant spielte 1971 in George Gershwins „Porgy and Bess“

Unter dem Eindruck nachlassenden kommerziellen Erfolgs entschied man sich, 1971 die Oper „Porgy and Bess“ von George Gershwin ins Programm zu nehmen. Bär zeigte sich skeptisch. Auf der Theaterbühne sorgten gleichzeitig Aufführungen etwa des Josefstädter Theaters und des Volkstheaters für mehr Abwechslung. Als sich die öffentliche Kritik Ende der 1970er Jahre an den Gagenforderungen von Schauspieler Klaus Maria Brandauer entzündete und auch das wirtschaftliche Gebaren der Festspiele auf den Prüfstand geriet, schien das Ende der Ära Bär nahe.

Eine neuer Aufbruch: „Die Zauberflöte“

Bärs Nachfolger wurde Alfred Wopmann. 1983 kam er von der Wiener Staatsoper nach Bregenz und begann damit, die Festspiele der größten Transformation ihrer damals 35-jährigen Geschichte zu unterziehen. „Alfred Wopmann hat diese Festspiele völlig neu konzipiert, er hat diese Möglichkeiten am See völlig neu gesehen, er hat sich getraut, Leute zu holen (...), die eher von der Revue kamen, nicht so sehr von der großen Oper“, beschreibt Journalist Walter Fink den Umbruch, den Wopmanns Dienstantritt bedeutete.

BF 2016 La Boheme 2001

APA/Barbara Gindl

Ein junger Rolando Villazon 2001 in Puccinis „La Boheme“

Wopmanns erster Triumph war Jerome Savarys Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ 1985. Die Aufführung demonstrierte einem staunenden Publikum, dass es möglich war, Anspruch mit Massentauglichkeit zu verbinden. Über den Zuschauern schwebte eine Seilbahn, die Königin der Nacht erschien in einem leuchtenden Sternenmantel an der Spitze des imposanten Berges im Zentrum der Bühne, und die ganze Aufführung war von Licht- und Showeffekten durchzogen. Publikum und Kritik waren begeistert.

„Samson et Dalila“ und die neue Ernsthaftigkeit

In den folgenden Jahren verschoben Wopmann und sein Team die Grenzen des Möglichen immer weiter. In Richard Wagners „Der fliegende Holländer“, inszeniert von David Pountney, war das Wasser des Bodensees nicht bloß Kulisse, sondern ein Spiegel des Innenlebens der handelnden Personen. Diese Einbeziehung der Seebühne und ihrer Umgebung in die Inszenierung sowie die starke Visualisierung der Operninhalte für ein breites Publikum wurden schließlich unter dem Namen „Bregenzer Dramaturgie“ bekannt.

West Side Story 2003

APA/Dietmar Stiplovsek

Mit Leonard Bernsteins „West Side Story“ verabschiedete sich Wopmann in der Spielzeit 2003/2004 von den Bregenzer Festspielen

Dem Spiel auf dem See setzte Wopmann zunehmend politische und gesellschaftskritische Werke und Opernraritäten im Festspielhaus entgegen. In Camille Saint-Saens „Samson et Dalila“ wurde die Geschichte des beginnenden Freiheitskampfs der Israeliten 1988 mit dem Holocaust in Verbindung gesetzt. Im Publikum: Bundespräsident Kurt Waldheim (ÖVP), jener Politiker, der zwei Jahre zuvor mit einer zögerlichen Auseinandersetzung mit seiner eigenen Rolle im NS-Regime für Schlagzeilen gesorgt hatte.

Drei Bühnen und ein Gesamtkunstwerk

Dabei bewies Wopmann immer wieder ein Näschen für relevante Gegenwartsthemen. Peter Iljitisch Tschaikowskis „Mazeppa“ und Bohuslav Martinus „Griechische Passion“ setzte er bewusst in Zusammenhang mit den Flüchtlingskrisen der Gegenwart. Und die Hauptfigur in Giuseppe Verdis „Nabucco“ (1993/1994) erinnerte an so manchen real existierenden Diktator. Auf der Theaterbühne fand diese Linie ihre Entsprechung in zeitkritischen Stücken wie Thomas Braschs „Frauen.Krieg.Lustspiel“.

BF 2016 Überblicksgeschichte

Bregenzer Festspiele

In ihrem ersten Jahr als Festspiel-Intendantin setzte Elisabeth Sobotka 2015 auf Giacomo Puccinis Oper „Turandot“

Das experimentelle zeitgenössische (Musik-)Theater fand ab 1998 auf der neuen multifunktionalen Werkstattbühne ein Zuhause. Eröffnet wurde mit der Oper „Nacht“ von Georg Friedrich Haas. Auf den nunmehr drei Bühnen der Festspiele - Seebühne, Festspielhaus-Bühne und Werkstattbühne - mit ihren spezifischen Gegebenheiten und dramatischen Möglichkeiten schuf Wopmann in den folgenden Jahren das dramatische „Gesamtkunstwerk Bregenzer Festspiele“.

Hinweis:

Die 71. Bregenzer Festspiele werden am 20. Juli offiziell eröffnet. Den Auftakt macht die wiederentdeckte Oper „Hamlet“ von Franco Faccio im Festspielhaus.

Pichler: „Zeitgemäßer und kritischer“

„Die Bregenzer Festspiele haben sich abgewandt von dieser erstarrten Operettenmentalität und haben sich eingebracht und eingeschaltet in den aktuellen politischen Diskurs", beschreibt Historiker Meinrad Pichler die Entwicklung, die die Bregenzer Festspiele nahmen. "Ich würde sagen, sie sind ab der Mitte der 80er Jahre zeitgemäßer geworden und kritischer geworden.“

Der Bezug zur Gegenwart und der Mut zur Innovation sollten den Festspielen nicht mehr abhandenkommen. Wopmanns Nachfolger David Pountney nutzte das Festspielhaus für so viele Uraufführungen wie nie - darunter die szenische Uraufführung von Mieczyslaw Weinbergs NS-Oper „Die Passagierin“. Elisabeth Sobotka, seit 2015 Intendantin der Festspiele, bringt mit Franco Faccios „Hamlet“ heuer eine spektakuläre Wiederentdeckung auf die Bühne, auf dem See wird wie im vergangenen Jahr Giacomo Puccinis „Turandot“ gegeben. 70 Jahre nach ihrer Gründung sind die Bregenzer Festspiele moderner und relevanter denn je.

Markus Sturn, vorarlberg.ORF.at

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