ÖVP-Chef Sebastian Kurz, Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache

APA/Herbert Neubauer

Die Uniformen der Macht

„Gut angezogen sein, was heißt das? Das heißt korrekt angezogen sein. Korrekt angezogen sein!“ Adolf Loos glaubt in seinem postum zum Klassiker gewordenen „Warum ein Mann gut angezogen sein soll“, ein Geheimnis gelüftet zu haben. Gut angezogen sei, wer „am wenigsten auffällt“, so Loos. Auch für die Politik gilt: Bei der Kleidungswahl aus der Reihe zu tanzen scheint tabu. Die ewige Lösung: der Anzug.

Signale werden über die Garderobe meist nur in kleinen Dosen vermittelt. Zu wichtig ist es, das Gesamtbild nicht zu stören. Die Macht des Bildes ist für Politiker bedeutend - ein gutes Foto, gerade in Zeiten des Wahlkampfs, unbezahlbar. „Der heutige Typus des Politikers ist durch die ständige Präsenz in den Medien sehr stark von Bildern geprägt“, sagt die Machtexpertin Christine Bauer-Jelinek gegenüber ORF.at. Die Optik spiele eine weit größere Rolle als früher, als sich Parteien noch stärker inhaltlich definierten. Die heutige Generation von Politikern und Politikerinnen brauche daher vor allem einen Hang zur Selbstdarstellung.

Kleider machen Leute

Und das Aussehen von Politikern fuße auf sorgfältig gewählten Inszenierungen. Es gebe „subtile Bildsprachen, die sehr genau durchdacht werden – oder durchdacht werden sollten, sage ich jetzt. Oft hat man den Eindruck, das geht komplett daneben, manchmal sind die Inszenierungen sehr passend“, so Bauer-Jelinek.

„Als hätten sie die Anzüge ihrer kleineren Brüder an“

Christine Bauer-Jelinek über die Outfits von Politikern, die Menschen „mit modischem Blick“ ansprechen wollen.

In Österreich und Deutschland sei etwa eine Entwicklung zu beobachten, „die sogenannten Slim-Fit-Typen in der Politik“, so die Machtanalytikerin. Männer mit schlanken Anzügen, kürzer geschnittenen Hosen, unter denen eventuell bunte Socken hervorblitzen. Dazu eng gehaltene Sakkos. „Sie sehen alle aus, als hätten sie die Anzüge ihrer kleineren Brüder an“, so Bauer-Jelinek. Es handle sich um bewusst gesetzte Signale an Zielgruppen.

Jungwähler als „Augenmenschen“

Das scheint gerade bei jungen Wählern essenziell: Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts T-Factory aus dem August 2017 entscheiden besonders Junge an der Wahlurne nach optischen Kriterien.

Buchcover von Christine Bauer-Jelinek: "Die helle und die dunkle Seite der Macht"

ecowin

Christine Bauer-Jelinek

Wirtschaftscoach, Psychotherapeutin und Machtanalytikerin. Buch: Die helle und die dunkle Seite der Macht. Ecowin, 227 Seiten, 22 Euro.

„Jungwähler bewerten Politik anhand ästhetischer Kategorien. Sie sind sehr stark Augenmenschen und wollen Erkenntnisse durch bildliche Wahrnehmung gewinnen“, so Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. „Die starke Verkörperlichung des Politischen hat einen neuen Idealtypus hervorgebracht: den Slim-Fit-Warrior.“ Hierzulande verkörperten Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) diesen Typus. „Kurz und Kern symbolisieren den schlanken, neuen, liberalen, beweglichen, hochgradig individualisierten Kapitalismus“, so Heinzlmaier.

Der Anzug bleibt

Kleine Neuerungen bei Hosenlänge oder Sakkozuschnitt sind dabei Zugeständnisse an sich ändernde Wählerwünsche. Auch die Krawatte bleibt dabei öfter auf der Strecke - natürlich kein Zufall. Gerade Kurz setzt im Wahlkampf auf Kragenfreiheit, passend zu seinen Slogans wie „Ein neuer Stil“ und Ähnliches. Das Grundkonzept der politischen Erscheinung ist aber seit Jahrhunderten unverändert der Anzug - die Uniform des Politikers.

Staats- und Regierungschefs am G-7 Gipfel in Italien

APA/AFP/Stephane de Sakutin

Ob Mann oder Frau, ob Osten, Süden oder Westen: Der Anzug ist das Zeichen für Macht. Hier: G-7-Gipfel 2017 in Italien.

„Das Gegenteil der launischen und verschwenderischen Mode des Adels ist seit dem frühen 19. Jahrhundert der streng klassische Herrenanzug“, sagte die deutsche Modetheoretikerin Barbara Vinkens der „WirtschaftsWoche“. Ein Mann im Anzug verkörpere die Ansicht, dass „man Wichtigeres zu tun hat, als an die Kleider, die man trägt, auch nur einen Gedanken zu verschwenden“.

Heute repräsentiere er zudem „Macht und Geld und ist immer noch die Uniform der Eliten“, so Vinkens, die im Buch „Angezogen“ der geschichtlichen Bedeutung dieser politischen Uniform nachging. Männer, so ihr Schluss, versteckten ihre Körper. Diese seien dadurch sachlich geworden. Sachlichkeit sei im bürgerlichen Zeitalter nach der französischen Revolution modisch geworden - und es geblieben.

Dress for Success

Der Anzug und die Sachlichkeit - eine Symbiose, die sich auch gegenseitig bedingt. 2015 fanden US-Wissenschaftler für die Studie „Die kognitiven Folgen formaler Kleidung“ heraus, dass Menschen, die Anzug tragen, analytischer denken. Je formaler die Kleidung der Probanden wirkte, desto abstrakter fielen die Urteile zu Testfragen aus. „Wir haben herausgefunden, dass sich Leute mit formaler Kleidung mächtiger fühlen, was sie wiederum zu abstrakterem Denken veranlasst“, so einer der Autoren, Michael Slepian von der Columbia Business School. Formale Kleidung hebe einen zudem von anderen ab und vermittle das Gefühl von „sozialer Distanz“, so Slepian im Onlinemagazin Medical Daily. Der Anzug sei ein „Symbol der Macht“.

„Passende Rollen zu finden ist für Frauen schwerer“

Die Frage nach weiblichen Insignien der Macht ist noch nicht endgültig beantwortet. Bauer-Jelinek empfiehlt auch hier Machtuniformen.

Solche Insignien der Macht sind immer noch männlich geprägt, sagt Machtexpertin Bauer-Jelinek. Für Frauen habe sich noch kein weithin gültiges Modell durchgesetzt. „Wenn sie das tun, was aus meiner Sicht richtig ist, nämlich eine Uniform - eine Machtuniform - anzuziehen, bekommen sie sehr schnell den Vorwurf, das wäre anbiederisch an die Männer, zu männlich und zu streng. Das macht vielen Frauen zu schaffen“, so Bauer-Jelinek. Zu weiblich dürfte sie auch wieder nicht auftreten. „Da Rollen zu finden, die passend sind, ist für Frauen viel schwerer als für Männer.“

Merkels Uniform

Für Politikerinnen bedeutet die weibliche Alternative zum Herrenanzug meist: Hosenanzug. Als mächtigstes Beispiel fungiert Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, die stets Hose mit Blazer trägt. „Von Angela Merkel weiß man, dass sie sich eine Inszenierung hat machen lassen, man weiß auch, wer die Designerin war. Und diese Uniform trägt sie konsequent seit Jahren oder Jahrzehnten“, sagt Bauer-Jelinek. „Das vermittelt Kontinuität und Sicherheit.“

Verschiedene Outfits von Angela Merkel

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Jeden Tag ein anderer Blazer: Merkels Erscheinung als exakt inszenierte Uniform

Der Hosenanzug als Politikerinnenuniform hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr durchgesetzt. Auf der Liste der mächtigsten Frauen der Erde des US-Wirtschaftsmagazins „Forbes“ stehen nach Merkel noch Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton und die Chefin der US-Zentralbank, Janet Yellen - alle drei tragen bevorzugt Hosenanzüge.

Caecilia Smekal, ORF.at

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